Das Volkstum

Wenn wir zu dieser Überschrift eine kurzgefaßte Abhandlung in unsere Heimatbeschreibung aufnehmen, so enthalten wir uns dabei eines selbständigen Urteils; wir bringen nur auszugsweise die Schilderung des Waldlervolkes; welche die beiden Geschichtsschreiber des bayerischen Waldes, Grueber und Müller, die dem Anscheine nach selber keine Waldler waren, und deshalb als unparteiische Beobachter anzusprechen sind, in ihrem Buche gebracht haben. Ihre Schilderungen liegen allerdings schon über 1 Jahrhundert zurück; im großen und ganzen ändert sich aber der Charakter eines Volksstammes nicht so schnell, daß er sich in verhältnismäßig kurzer Zeit in das Gegenteil verkehrt haben könnte. Was die beiden Heimatforscher über die Bewohner des bayer. Waldes im allgemeinen gesagt haben, darf wohl auch auf Konzell und Umgebung im besonderen angewandt werden. Die Landbewohner des bayer. Waldes zeigen im ganzen einen kräftigen Körperbau und eine vorzügliche Ausbildung des Muskelsystems. Die Männer ragen im Durchschnitt über die mittlere Größe hinaus, die Frauen erreichen gewöhnlich nur diese. Beide Geschlechter lassen an sich das Gepräge der Rüstigkeit und Abhärtung wahrnehmen. Im Grenzgebirge des inneren Waldes sind blonde Haare und blaue Augen vorherrschender als in den näher gegen die Donau liegenden Gegenden. Das Aussehen ist frisch. Das nicht verweichlichende Klima, die hohe freie Lage, der stete Wechsel der Luftschichten, die häufige Bewegung im Freien, das frischreine Quellwasser, die einfache Lebensweise, erhalten die Waldbewohner bei guter Gesundheit und viele von ihnen erreichen ein hohes Alter. Eigentliche Volkskrankheiten kommen nicht vor. Die Ehen sind in der Regel sehr gesegnet. Für die Kernhaftigkeit der Bevölkerung des bayer. Waldes zeugt auch ihre Tüchtigkeit zum Militärdienste. In den Kriegsjahren von 1807 - 1813 lieferte nach Schuegrafs Angabe das Landgericht Mitterfels allein so viele Jünglinge zur Reiterei, daß sie mitsammen ein Chevauxlegers-Regiment gebildet haben, ungerechnet diejenigen, welche dieser Bezirk zu der Infanterie und Artillerie abgeben mußte. Die Kost der Landleute ist sehr einfach, ja beinahe ärmlich und beschränkt sich größtenteils auf Milch und Vegetalien. Mittags kommen Knödel von Roggenmehl und Brot auf den Tisch und Sauerkraut, abwechselnd auch Dampfnudeln mit gekochtem Dörrobst (Zwetschgen, Birnhuzeln oder ApfelspeiteIn) oder rauhe Kartoffelspeisen (Zwirl, Erdäpfel, FingernudeIn oder Rantsch, Reinmus, oder geröstete Kartoffel; außerdem Brein und die dem Walde eigentümlichen "Scharrnbladeln", als Zuspeise häufig auch gestöckelte Milch, dann und wann macht ein Stück "Geselchtes" die Mahlzeit leckerer. Das Frühstück und das Abendbrot besteht meist aus sog. saurer Suppe mit schwarzen Brocken und Erdäpfeln, meist gebraten. Der Zwischenimbiß zwischen den Hauptmahlzeiten besteht im sog. Neuner- und Dreierbrot. Der ärmeren Waldbevölkerung sind die Erdäpfl die Hauptnahrung. (Daher der Spruch:

            "Erdäpfel in der Früah,
             mittags in der Brüah,
             auf d'Nacht samt die Häut,
             Erdäpfel in Ewigkeit."

Kaffee hat es früher nur als Festtagsessen gegeben. Nur zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, am Kirchweihtage (Kirta) und am Erntefest setzt der Bauer seiner Familie und seinen Dienstboten (Ehehalten) Fleischgerichte und dazu manchmal auch KücheIn auf den Tisch; sonst gibt es Fleisch nur bei Notschlachtungen im Dorfe. Das allgemeine Getränk ist Wasser; Bier erlauben sich nur wenige Wohlbegüterte täglich zu genießen; den anderen wird diese Labung nur etwa des Sonntags zu teil; da aber nehmen sie es nicht selten im Übermaße zu sich; Most hat sich im Walde nur wenig eingebürgert. Über Essen und Trinken geht dem Waldler das Schnupfen des Brasiltabaks, des "Schmalzlers" und zwar meist aus dem "Glasl", selten aus einer Dose. Das Rauchen ist unter den Landbewohnern des Waldes noch wenig verbreitet; sie sind meist nur Gelegenheitsraucher von Zigarren und Pfeifen. (Das Rauchen von Zigaretten war früher gänzlich unbekannt.) Was die Kleidung betrifft, so drängt sich, wie allenthalben, so auch im Waldgebirge dem Volksfreunde die unliebe Beobachtung auf, daß die alte Nationaltracht immer mehr abgelegt wird und verschwindet. Die alte Waldlertracht ist jetzt längst schon vollständig abgekommen. Wir beschreiben sie hier im kulturhistorischen Interesse. Man kann die alten Trachten noch wahrnehmen an den alten Votivtäfelchen in Wallfahrtskirchen. Die älteren Männer trugen lange Tuchröcke, meist von blauer Farbe und mit kurzen, stehenden Krägen und einer Reihe großer Metallknöpfe, deren Stelle bei den Vermöglicheren Silbermünzen einnahmen (Zwölfer, Achtzehner oder Vierundzwanziger im alten Kreuzerwerte.) Ein lose geknöpftes Halstuch, eine farbige geblümte Weste (Leibl), gleichfalls mit Metallknöpfen besetzt, schwarzlederne Kniehosen, blaue Strümpfe mit schnörkelreichen Zwickeln, Schuhe mit Metallschnallen oder auch hohe Wadelstiefel, steif und gewichst, vervollständigen den Anzug. Den Kopf bedeckte eine ""Zipfelhaube" oder auch eine Pelzhaube, über welche ein breitkrempiger steifer Hut gestülpt ward. Wenn Sie über Land gehen, tragen die Männer Tuchmäntel (Burnus), selbst auch im Sommer. Dieses Kleidungsstück ist gleichsam eine Rangauszeichnung der Hausväter, und jeder setzt eine Ehre darein, als "mantelmäßiger Mann" zu erscheinen. Die ledigen Burschen sind statt des Rockes mit einer Jacke (Schankers) von von Tuch oder Manschester angetan, ihre Strümpfe sind weiß (Wolle) und den Fuß bekleiden bis zu den Knöcheln reichende Schnürstiefel. Der Hut hat eine kleinere Scheibe als der der Männer und ist von einem breiten Sanftbande umwunden mit einer Schnalle bei festlichen Gelegenheiten auch mit einem "Straußen" von künstlichen Blumen und Flittergold verziert. In der Schlitztasche der Hose (Messersack), darf das metallbeschlagene Eßbesteck (Messer, Gabel und Löffel) nicht fehlen. Die weibliche Kleidung zeigt wenig auffallende Eigentümlichkeit mehr. Unter einem Unterleibchen von buntem Rattun tragen die Frauen und Mädchen ein kurzes, steifes Mieder, wozu im Sonntagsstaate noch ein Spenzer oder eine Joppe kommt. Der Rock, von im Lande gewebtem starken Zwirn zeuge, ist mäßig kurz, aber sehr faltenreich, das Vortuch (Fürta) in der Regel von blaugefärbtem Ganzleinen. Um den Kopfwinden sie große viereckige Tücher von buntem Wollenzeuge, eine höchst geschmacklose, unbildsame Tracht. Übrigens hat man um das Jahr 1870 herum bei Hochzeiten auch noch die Riegelhauben aus Goldfäden oder schwarzen Perlen getragen. Über den Charakter der Wäldler fällen die genannten Schilderer des bayer. Waldes folgendes Urteil: "Der Wäldler ist sehr religiös und hängt der katholischen Kirche mit unerschütterlicher Treue an. Fern von jeder fanatischen Überspannung erfüllt er die Gebote seiner Kirche mit strengste Gewissenhaftigkeit, und keine Ungunst der Witterung ist im Stande, ihn des Sonntags vom Besuche des Gottesdienstes abzuhalten, hätte er auch stundenweit zur Kirche zugehen. Das Morgen-, Mittag- und Abendgebet verrichtet der Hausvater täglich gemeinsam mit seiner Familie und dem Gesinde. Der Wanderer gewahrt allenthalben im Lande die Merkmale des Katholizismus aus dem Schmucke der Kirchen, der auf allen Wegen und Stegen verstreuten Kreuzeszeichen, Heiligenbilder und Kapellen. Die heilige Jungfrau Maria hat nirgends eifrigere Verehrer ala im Walde und zahlreiche Pilger und Pilgerinnen besuchen alljährlich die marianischen Gnadenstätten in Altötting, auf dem Bogenberge, auf dem Pilgramsberge etc. Viele benützen die Gnandenzeit in Deggendorf oder statten dem hl. Hermann (Hirmo) bei Bischofsmais ihren Besuch ab; die Männer sind Mitglieder der Marianischen Kongregation in Straubing. Kirchliche Bruderschatten bestehen in fast allen Pfarrkirchen. Der Klerus steht beim Volke in hoher Achtung und die Eltern betrachten es als eine große Ehre für ihre Familie, wenn einer ihrer Söhne dem geistlichen Stande sich widmet. Hang zur Ungebundenheit, Lebenslust und Frohmut, das unvwüstliche Erbteil aller Gebirgsbewohner, besitzt auch der Wäldler in reichlichem Maße, was sich besonders auch in seiner Tanzlust offenbart. Seine Gesangskunst gibt sich hauptsächlich in den sog. "Schnadahüpfeln" kund, die er selber zusammendichtet. Beobachten wir den Wäldler bei seiner Arbeit, so müssen wir den eisernen Fleiß und die Ausdauer bewundern, mit welcher er einen Boden, der im allgemeinen der Vegetation nicht besonders günstig ist, den Ertrag abringt. Kein Fleckchen Erde bleibt unbenützt. Im Winter, wenn die Feldarbeit ruht, sitzt jung und alt bis in die späte Nacht hinein am Spinnrocken, Dieser unermüdliche Fleiß, verbunden mit musterhafter Häuslichkeit und Genügsamkeit, verschafft dem Wäldler einen gesicherten Nahrungsstand, ebensogut wie dem stolzen Gäubauern des Donaugaues. Mit den Anlagen des Geistes und Verstandes hat die Natur den Waldler durchaus nicht stiefmütterlich bedacht. Auffassungsvermögen, gesundes Urteil und natürlichen Takt besitzt er in nicht geringem Grade. Die Überzeugung, wie notwendig der Unterricht der Jugend sei, ist bereits in die entlegensten Winkel des Waldes gedrungen und die Leistungen der Schule stehen denen des Flachlandes durchaus nicht nach bei der guten Bildungsfähigkeit der jungen Wäldler und trotz der großen Schwierigkeit des Schulbesuches namentlich in der Winterszeit. Tatsächlich gibt es auch eine stattliche Reihe von geradezu berühmt gewordenen Wäldlern. Noch ein schöner Zug im Charakter des Wäldlers, der nicht übergangen werden darf ist seine Liebe zur Heimat. Der Baum, welcher das Haus seines Vaters beschattet, der Flügel, an den sich seine Geburtsstätte lehnt, der Bach, welcher sich durch sein Heimattal hindurchschlängelt, sind seiner Erinnerung ewig heilige Gegenstände; und ergeht es ihm in der Fremde noch so gut, nach der Heimat sehnt sich sein Herz immer wieder zurück, wo die grünen Wälder so feierlich rauschen, wo der Vogel singt und die Blume am Raine blüht. Auswanderungen in großen Zügen kommen niemals vor; denn außerhalb Deutschland ist dem Wäldler nicht wohl. Dies die Lichtseite des Gemäldes; indes hat es auch einige Schattenseiten. Man nennt das junge Waldlervolk etwas rauflustig, eine Untugend , die wohl in seinem Kraftbewußtsein und in dem angeborenen kriegerischen Sinne ihre Wurzel haben mag. Auch der Spiellust wird noch hie und da gefrönt. Im Karten- und Kegelspiele sind von manchem schon hohe Summen verloren worden; früher auch im Lotteriespielen. Die im Volke liegende Charakterstärke äußert sich nicht selten als Schroffheit, der Geradsinn als Derbheit, sogar als Grobheit. Der Waldler ist ja etwas rauh wie sein Klima und hart wie sein Granitboden. Auch die Scheu vor dem Fremden vermag er nicht ganz zu unterdrücken. Im Umgange unter sich selbst halten sie aber fest zusammen und zeigen keine Falschheit; jeder findet bei seinem Nachbarn Hilfe und Rat in allen Unternehmungen und Notfällen. Gemeiner Diebstahl ist allgemein verachtet. Dies ist das Leumundszeugnis für die Waldler im Urteile von scharfbeobachtenden Gelehrten und es dürfte wohl im allgemeinen den Nagel auf den Kopf getroffen haben.